Post by wolfgang sPost by Lars GebauerImho ist süßer Wein sogar der echtere Wein.
Ich weiß ja nicht. Zumindest Sekt muss staubtrocken sein.
Außerhalb der klassischen Weinbaugebiete war Wein schwer zu bekommen. Er
mußte über mehr oder weniger weite Strecken transportiert werden, war
also entsprechend teuer. Damit war Wein auch ein Status-Symbol: Wer
seine Gäste mit Wein bewirten konnte, zeigte damit auch seinen Reichtum.
Wer weniger reich war, mußte seine Gäste mit Bier bewirten.
Wenn Wein für teures Geld importiert werden mußte, welcher Wein wurde
dann importiert? Eher der lieblich-süße Wein oder eher der
gewöhnungsbedürftige trockene? - Du kannst sicher davon ausgehen, daß
der lieblich-süße Wein in der Gunst der Trinker deutlich höher stand.
Um diese Transportkosten zu vermeiden und trotzdem Wein zu haben, wurden
auch immer wieder lokale Weinbauversuche unternommen. Eine zwingende
Notwendigkeit für Weinbau gab es nicht. Außerhalb klassischer
Weinbaugebiete war Wein ein Luxus-Gut. Diese Versuche erfolgten auch in
Gegenden, in denen die lokalen Witterungs-Bedingungen kaum an die
Bedingungen weiter südlicher Gegenden heranreichten. (Bis die Kleine
Eiszeit all diese Experimente größtenteils beendete.)
Aber auch während dieser Zeit war Wein immer noch ein
Distinguitions-Merkmal: Wohlschmeckende Import-Weine oder einheimische
Erzeugnisse? - Ich bin mir ziemlich sicher, welcher Wein als eher
minderwertig betrachtet wurde und welcher nicht. Das spiegelt sich auch
in vielen zeitgenössischen Berichten.
All das änderte sich über die Zeit. Das städtische Bürgertum erstarkte
auch finanziell und es wurden immer mehr Waren transportiert, die
Handelswege wurden dichter. Damit wurde Wein für immer mehr Menschen
leistbar, ein früher Demokratisierungs-Prozeß setzte ein.
Der Wein verlor seine Rolle als Status-Symbol immer deutlicher.
Im 19. Jh. beschleunigte sich diese Entwicklung. Warentransporte wurde
immer günstiger, Produktionsmethoden immer besser und das
verhältnismäßig wohlhabende Bürgertum etablierte und emanzipierte sich
immer mehr.
Das forderte soziale, gesellschaftliche Abgrenzungs-Prozesse innerhalb
des Bürgertums heraus.
Gleichzeitig setzte im 19. Jh. eine zunehmende Welle des Nationalismus
ein. Die führte auch dazu, daß in deutschen Landen hergestellte Produkte
stärker nachgefragt wurden. Die Kleine Eiszeit war am Abklingen und so
rückte auch Weinbau wieder stärker in den Blick.
Aber die lokalen Witterungsverhältnisse kümmerten sich natürlich wenig
um all diese sozialen Prozesse. Dadurch blieb der qualitative
Unterschied zwischen einheimischen und Import-Weinen unübersehbar.
Aber für die nationalistisch gesinnten Kreise des Bürgertums wurde das
interessant: Der patriotisch gesinnte Bürger trank - selbstverständlich
- deutschen Wein! So konnte er sein Gesinnung demonstrieren und
klarmachen, auf wessen Seite er stand. Wer wegen des lieblicheren
Geschmacks Import-Weine bevorzugte, machte sich alleine schon deswegen
verdächtig.
Natürlich wurden im Zuge dieses Prozesses auch massenhaft
pseudo-sachliche Begründungen nachgeschoben, warum trockener Wein der
bessere oder gar der richtige Wein sei. Wer eine Begründung sucht,
findet auch eine.
Einen interessanten Schub kriegte die Geschichte nochmal durch die
Herausbildung breiter Arbeiter-Schichten. Zwar wurde in jenen Kreisen
eher Bier bevorzugt aber Wein war mittlerweile so billig und allgemein
verfügbar, daß er auch in deren finanzielle Reichweite geriet und
Interessenten fand. Diese Leute kümmerten sich natürlich nicht um die
nationalistischen Befindlichkeiten des Bürgertums. Die tranken einfach
den Wein, der ihnen schmeckte. Und das war nicht unbedingt der trockene
Wein mit deutschem Ahnenpaß.
Womit sich für das Bürgertum ein neues Abgrenzungs-Merkmal anbot.
--
"Meine Bitte an Sie: den Klimawandel ernst nehmen, die ruhigen Stimmen
in der Wissenschaft anhören und nicht jenen folgen, die für sich in
Anspruch nehmen, für „die“ Wissenschaft zu sprechen. Politische
Maßnahmen mit weltweiter Wirkung vorbereiten – und dafür auf
klimaneutrale Technologie setzen. Nicht denen auf den Leim gehen, die
Klimakatastrophe predigen und Panik als Grundlage der Klimapolitik
propagieren." (Hans von Storch, 2023)