Post by Ulf_KutznerPost by Peter VeithMeine Großeltern waren Deutsche, hatten allerdings - als ein Ergebnis
des 1. Weltkrieges - die polnische Staatsbürgerschaft. Folglich wurden
sie 1940 / 1941 offiziell eingebürgert.
Wobei ich sehr unlängst las, Deportation von Polendeutschen/
Wolhyniendeutschen habe gegen Ende des Zarenreichs auch schon
funktioniert, (...)
Du schreibst nun von 1915.
Am 22. Juli 1915 mußte vom russischen Oberbefehlshaber die Evakuierung
Polens befohlen werden. Während des unter schweren Kämpfen erfolgten
Rückzuges wurden _bis zu 4 Millionen Zivilisten_ ins Landesinnere
Rußlands umgesiedelt, _darunter ca. 140.000 Deutsche_.
Es wird berichtet, daß sie teilweise innerhalb von 24 Stunden ihre
Häuser und Höfe verlassen mußten. Zeitgleich war die Bahn hoffnungslos
überlastet, die Verbindungsstraßen verstopft. Insbesondere an den
Übergängen des Flusses Bug staute es sich und es wurden Flüchtlingslager
improvisiert. Tausende starben unterwegs an Hunger und Krankheiten, die
meisten verloren sämtliches Hab und Gut. Bis zum Ende des Sommers 1915
war ganz Russisch-Polen von den Armeen der Mittelmächte besetzt.
Als eine Folge der russischen Oktoberrevolution von 1917 wird am 3. März
1918 der Raubfrieden von Brest-Litowsk unterzeichnet. Artikel XII des
Vertrages legte u.a. den Austausch der Zivilinternierten fest. Im
Artikel 18, § 1 des Zusatzvertrages vom 7. März 1918 hieß es dazu: „Die
beiderseitigen internierten oder verschickten Zivilangehörigen werden
tunlichst bald unentgeltlich heimbefördert werden (...)".
Während letztlich die Grenzziehung des wiedererstandenen Polen im Osten
noch bis 1921 / 1939 strittig blieb (Curzon-Linie), konnten die ersten
Kolonisten wieder heimkehren.
Dazu wurde berichtet, daß die Familie S. mit der späteren D. - Oma als
vergleichsweise wohlhabend galt und daher bereits 1918 die Rückreise per
Bahn in die rd. 2.600 km entfernte Heimat bezahlen konnte und wohl
entgegen o.g. Vertrages auch bezahlen mußte. Teile der Familie D. seien
statt dessen Anfang der 1920er einfach in den Zug gesetzt worden, da man
die Deutschen wieder loswerden wollte.
Die Häuser der Kolonisten waren nach dem Krieg geplündert. Sie lebten
als Deutsche nun nicht mehr in Rußland sondern in wiedererstandenen
Polen und wurden automatisch polnische Staatsbürger.
Im Jahr 1919 tobte der polnisch-ukrainische und 1920 der
polnisch-sowjetische Krieg. Banditen trieben ihr Unwesen. Trotz des am
28. Juni 1919 in Versailles durch die Weltkriegssieger mit Polen
geschlossen Minderheitenschutzvertrags blieb ihre Situation prekär. Die
polnische Politik war bestimmt von einer "planlosen" und später einer
"planmäßigen Entdeutschung". Obwohl selbst die Türen und Fenster aus den
Häusern gerissen und das Vieh weg, die Felder verwüstet waren, begann
der Neuanfang.
Veith
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"Die Wahrheit ist konkret, Genosse!" - Angela Merkel.
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