Post by Harald SchmidtIm Tal der Ahnungslosen
Westfernsehen Marke Eigenbau
Fernsehen in der DDR
gruss Harry
Danke für den Hinweis, den uns Gerald allerdings schon länger (erneut)
in seiner Sig hatte.
Aus gegebenem Anlaß hierzu die "Berliner Zeitung" (BLZ), die Geralds
und seiner Partnerin (die haben 'Brönnen' und 'Andres' geschrieben)
Werk in der Druckausgabe eine _volle_ Kolumne gewidmet hat:
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Berliner Zeitung
Dienstag, 11. Oktober 2005
*Die große Wut im Tal der Ahnungslosen*
*Doku über den Empfang des Westfernsehens in Dresden*
/Torsten Wahl/
In den Sechzigerjahren zerteilten manche DDR-Familien mit ihrer
gen Bayern gerichteten Ochsenkopf-Antenne das komplette Schlafzimmer,
in den Achtzigern errichteten sächsische Dorfgemeinschaften auf Hügeln
gigantische Antennenanlagen und gruben kilometerlange Kabelschächte zu
den Häusern, manche Hausgemeinschaften in den Städten ließen sich aus
dem Westen sündhaft teure Satellitenanlagen beschaffen. Doch manchmal
war alle Mühe vergebens: Im Raum Dresden blieb der Empfang der
Fernsehprogramme aus dem Westen eine technisch schwierige
Angelegenheit. Nicht selten reisten frustrierte Dresdner zu Verwandten
oder Bekannten in anderen Teile der Republik, wenn sie eine bestimmte
Sendung in ARD oder ZDF sehen wollten. Ganz Verzweifelte oder Wütende
drohten 1984 auch mit der Sprengung des Dresdener Fernsehturms, um
endlich die Verbreitung der westdeutschen Sender zu erzwingen.
Die MDR-Dokumentation "Westfernsehen Marke Eigenbau", die genauer
gesagt: "Westfernseh-Empfang Marke Eigenbau" heißen müsste, betrachtet
das Thema aus zwei Perspektiven. Die Betroffenen im "Tal der
Ahnungslosen" erklären anschaulich, welche Anstrengungen und Risiken
sie mitunter auf sich nahmen, um ARD und ZDF sehen zu können (die
kommerziellen Sender spielten noch keine Rolle). Manche private
Schmalfilm-Aufnahme von selbstkonstruierten Empfangsanlagen erinnert an
die Tüfteleien der DDR-Sendung "Außenseiter-Spitzenreiter" (wo manches
Gerät der Marke Eigenbau präsentiert wurde, Erfindungen zum Empfang von
Westfernsehen natürlich tabu waren).
Wie heikel das Problem Westfernsehen auch politisch war, erklären
Hans Modrow und Wolfgang Berghofer, damals SED-Bezirkschef und
Oberbürgermeister in Dresden. Dem Genossen Modrow persönlich hätte
seine Partei die Westprogramme sogar per teurer Richtfunkanlage in
dessen Neubauwohnung geschickt - doch der lehnte klugerweise ab. Denn
sonst hätte er Dresden gespalten: in die Wohnungen in seinem
Richtfunk-Korridor mit Westfernsehen und den Rest Dresdens ohne
"Tagesschau" und "Am laufenden Band".
Modrow und Berghofer berichten aus den Jahren, in denen der
Empfang von ARD und ZDF zwar nicht gerade gefördert, aber doch
stillschweigend hingenommen wurde. Die Zeiten, als eifrige FDJ-Trupps
den Bürgern noch aufs Dach stiegen, um die gen Westen gerichteten
Antennen zu demontieren, waren in den Achtziger längst vorbei. Ganz
nebenbei führen die Autoren Ute Brönnen und Gerald Andres auch die
Argumente jener SED-Hardliner ad absurdum, die glaubten, die
Westprogramme würden die DDR-Bürger ideologisch "verderben". Das
Gegenteil trat ein: Das "Tal der Ahnungslosen" wurde zum "Tal der
besonders Frustrierten". Das Gefühl des Ausgeschlossenseins verstärkte
die Unzufriedenheit mit dem Staat - nirgendwo wurden so viele
Ausreiseanträge gestellt wie in den Gegenden ohne Westempfang.
(Im Tal der Ahnungslosen - Westfernsehen Marke Eigenbau, 22.05, MDR)
http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/media/490705.html
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Gruß Ch.
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